Die Phileasson-Saga: H'Rangas Kinder

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko 

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

8. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Der eisige Nordwind lässt Schneeflocken über das verschneite Kliff Thorwals tanzen, während in der Großen Halla der Ottaskin der Hetleute flackernder Feuerschein und der Lärm von zahlreichen Männern gedämpft nach draußen klingt. Ein dürrer Olporter winselt kläglich und kratzt mit seiner wunden Pfote an der schweren Eichentür, doch die Nordmänner in der Halla hören den Hund nicht. Sie sitzen bei reichlich Met und den Resten von Schwarzbrot und geräuchertem Butterfisch um einen schweren Eichenholztisch herum und die Geräusche des Essens erfüllen den großen Raum. Ein hünenhafter Thorwaler mit eisblonden Haaren sitzt am Kopfende der Tafel und kratzt sich mit einem schwarzen Dolch gerade die letzten Fischreste zwischen seinen Zähnen hervor. Es ist der berühmte Asleif Phileasson, der nun wieder das Wort ergreift um die Erzählung seiner Saga fortzuführen: 

„Nun, Bacha hielt Wort, und die ‚Sturmvogel‘ steuerte am 17. Rahja aus dem sicheren Hafen Ilsurs hinaus in die Weiten des Perlenmeers. Wir hatten die Tage zuvor einige Vorkehrungen für die Jagd auf eine Seeschlange getroffen: Ungrimm und Eigor hatten zahlreiche Drachentöterspieße besorgt mit der Hoffnung, diese mit vier oder sechs Mann von Bord eines Schiffes auch gegen eine riesige Seeschlange führen zu können. Mythornius hatte in Ilsur die Zutaten für das berüchtigte Hylailer Feuer zusammensammeln können. Wir waren uns natürlich der Gefahr bewusst, dass das Hylailer Feuer sich auch schnell gegen unser Schiff wenden könnte, doch wir wollten alle Möglichkeiten im Kampf gegen die Hranngarsbrut ausschöpfen. Bisher hatte schließlich niemand eine Seeschlange bekämpft oder zumindest gibt es keine Überlebenden, welche von solch einem Vorhaben berichten könnten, bei Swafnir!

Jedenfalls, Swanfir und Kauca waren uns wohlgesonnen, denn eine frische Brise ließ unser Schiff schnell über die Wellen des Meeres reiten und wir kamen gut voran. Auch am zweiten Tag auf See waren uns die Runjas wohlgesonnen, denn Mythornius gelang es endlich, die magische Verzauberung von Hakon zu brechen! Der Gladiator war daraufhin natürlich verwirrter als so mancher Al'Anfaner Sklaventreiber, doch letztendlich berichtete er uns, dass es Beorns Geweihte Lenya war, die ihn damals in Tobrien in ihren Bann gezogen hätte, nicht etwa die Wüstenelfe Lailath! Damals hatten wir nur Vermutungen bezüglich Lenya und erst in den Tangfeldern der Sargasso-See sollten wir Gewissheit erhalten. Ich greife nun vielleicht ein wenig vor, doch ich denke es ist besser wenn ich dir das alles jetzt schon sage, Mandred, denn so kannst du es besser in die Saga einbauen. Wie ich schon sagte, im Himmelsturm kamen Beorns Mannen allesamt ums Leben, lediglich er selbst und seine Geweihte Lenya konnten entkommen, nur um wenige Tage später bereits – lange vor uns! – in Norburg einzutreffen. Damals vermuteten wir bereits, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehen konnte und heute weiß ich, dass schon zu dieser Zeit die Schwarzelfe Pardona den Platz Lenyas eingenommen hatte. Sie war es auch, die in Tobrien Hakon verzauberte, nach dem Tal der Türme die weißen Höllenhunde auf uns hetzte und uns durch Hakons Augen die Zorgan-Pocken anzauberte! In der Sargasso-See zeigte sie dann schließlich ihr wahres Gesicht, doch das erzähle ich dir dann morgen, wenn ich über diesen Teil berichte. Den wahren Grund für dieses ganze Possenspiel, den haben wir lange nach den Ereignissen in der Sargasso-See erfahren. Im Endeffekt ging alles um den Elfenkönig Fenvarien, wie du dir vielleicht schon denken kannst, Mandred. Auf jeden Fall möchte ich, dass du in der Saga klarstellst, dass es von Anfang an nicht mehr Lenya war, die uns so übel mitspielte, bei Travia! Swafnir möge ihrer Seele gnädig sein, das Wohl!“ Mit diesen Worten hebt Phileasson seinen Metkrug und streckt ihn in die Höhe. Klirrend stoßen die Nordmänner mit ihren Trinkhörnern und Metkrügen auf die im Himmelsturm zu Tode gekommene Travia-Geweihte Lenya an. Einige Augenblicke ist nur das stürmische Heulen des Rondrikan außerhalb der Großen Halla zu hören, dann ergreift der blonde Kapitän Phileasson wieder das Wort:

„Nun aber wieder zurück zu den Ereignissen während unserer Reise mit der ‚Sturmvogel‘. Wir hatten uns natürlich in Ilsur verpflichtet auch an der Jagd nach Haien teilzunehmen. Sobald die Rückenflosse eines Hais gesichtet wurde, ließ Bacha ein Fass Schweineblut mit Fischkadavern als Köder über Bord werfen und schon wenig später tummelte sich eine muntere Gruppe Haie im Wasser um uns herum. Tja, und dann kam der gefährliche Teil. Die Jagdmannschaften – hauptsächlich mit Harpunen bewaffnet – wurden nämlich in kleinen Beibooten zu Wasser gelassen und so fand man sich also plötzlich zwischen rotschäumendem Meerwasser und unzähligen Rückenflossen wieder … Selbst mir wurde bei der Haijagd ein wenig mulmig, das kann ich dir sagen! Unsere erste Beute konnte sich dabei durchaus sehen lassen: Wir hatten einen über ein Dutzend Schritt langen Ifirnshai zur Strecke bringen können, dazu auch einige kleinere Tigerhaie! Doch bereits am ersten Tag gab es auch einen Toten unter den Jagdmannschaften zu beklagen und dies sollte sich auch in den kommenden Tagen nicht ändern. Ich glaube es gibt wenig was so gefährlich ist wie die Haijagd, das Wohl!

Fürwahr, unsere Fahrt auf dem Perlenmeer sollte nicht langweilig werden, bei Swafnir! Bereits am nächsten Tag sichtete Tashtego eine brennende Kogge. An Bord des untergehenden Handelsschiffes fanden wir als einzigen Überlebenden einen Maraskaner mit dem Namen Mujajin. Der völlig verängstigte Mann berichtete uns, dass die Kogge von der ‚Tiger von Tuzak‘ unter dem Kommando des berühmten Piraten Kodnas Han geentert wurde. Mujajin war der Bruder des Schmieds Alrijin, welcher in Boran schon bald an der  Erschaffung von Robans Kriegshammer Mjolnir beteiligt sein sollte. Tja und Kodnas Han, den sollten wir auch schon bald kennenlernen … Aber ich greife schon wieder vor!“ Während der letzten Sätze hat der blonde Hetmann einen seltsamen, bunten Stoffklumpen, in welchen unzählige verschiedenfarbige und verschiedenlange Holzstäbchen hineingesteckt sind, aus seiner Tasche geholt und dreht diesen fremdartigen Gegenstand nun gedankenverloren in seinen Händen. Einige Augenblicke später blickt er wieder zu Mandred und spricht weiter: „Das ist ein Leg-ga-Leg, Mandred. Verrückte Maraskaner, wahrlich! Das haben wir einige Wochen später von Kodnas Han bekommen, aber alles zu seiner Zeit.“ Phileasson steckt sich den seltsamen Gegenstand wieder in seine Gürteltasche, dann redet er weiter:

„Jedenfalls, bereits einen Tag später haben wir dann auch noch eine Herde Grünwale gesichtet und ich dachte mir natürlich, wenn das kein gutes Zeichen ist, dann will ich kein Thorwaler mehr sein, das Wohl! Bereits am nächsten Tag allerdings flaute der Wind ab und bereits zur Mittagsstunde wehte kein Windzug mehr über den Wassern des Perlenmeers. Unter der Mannschaft Bachas breitete sich immer mehr die Angst aus, dass man den sicheren Hafen Borans nicht mehr vor Anbruch der Namenlosen Tage erreichen würde. Und sie sollten leider Recht behalten, denn auch in den nächsten Tagen frischte der Wind nicht auf. Tja, ich bin zwar noch ein Thorwaler, aber Recht hatte ich damals nicht, fürwahr!

Am 1. Namenlosen frischte der Wind dann endlich wieder auf und die ‚Sturmvogel‘ segelte endlich wieder mit aufgeblähten Segeln gen Boran. Wir alle waren erleichtert, lediglich Eigor erkannte diesen Wetterumschwung während der Namenlosen Tage als schlechtes Zeichen. Und ja, er sollte Recht behalten, denn bereits wenige Stunden später kam es zur Katastrophe …“ Phileasson hält inne und genehmigt sich einen großen Schluck Honigwein, während die anwesenden Zuhörer gespannt auf die Fortsetzung seiner Erzählung warten. Endlich berichtet der Hetmann weiter: Aus den Tiefen des Perlenmeers tauchte der gewaltige Kopf einer Seeschlange auf! Und wie war das Vieh riesig! Allein der Kopf des Ungetüms war so groß wie ein ganzes Drachenschiff, die Zähne der Bestie waren länger als so mancher Zwerg! Wie lange der gigantische Schuppenleib des Untiers war, konnten wir gar nicht so genau sehen, denn ein großer Teil des Schlangenkörpers befand sich ja unter Wasser. Aber auch so war jener Teil, der aus dem Wasser ragte, größer als der Hjaldingard-Turm Thorwals, so wahr ich hier sitze! Einen Augenblick waren wir natürlich geschockt, doch dann siegte die Vernunft und ich befahl den Männern, sich bereit zu machen. Die Drachentöterspieße wurden ausgerüstet, das Hylailer Feuer wurde angerührt und die wenigen Bordgeschütze wurden besetzt. Tja und dann tauchte auf der anderen Seite des ‚Sturmvogels‘ ein weiteres dieses Meeresungeheuer aus den schäumenden Tiefen des Meeres auf! Seit diesem Tage denke ich, dass die Runjas manchmal einen seltsamen Humor gegenüber uns Sterblichen haben, das Wohl!

Beide Seeschlangen stürzten sich auf unser Schiff und es entbrannte ein erbarmungsloser Kampf an Bord. Männer wurden durch die gewaltigen Hiebe der Monster von Bord geschleudert oder zerschmettert und mehr als einer der tapferen Männer fand einen grausamen Tod zwischen den Zähnen dieser Ungeheuer. Doch wir wehrten uns tapfer, bei Swafnir! Drachentöterspieße wurden den Bestien in den Rachen gerammt und selbst die dicken Schuppen dieser Ungetüme konnten den Äxten und Kriegshämmern meiner Männer nicht stand halten. Hier zeichneten sich vor allem Ungrimm und Roban aus, während Wulf und Tashtego eine Harpune nach der anderen auf die Leiber der Bestien abschossen. Auch das Hylailer Feuer, welches wir auf die Ungetüme abfeuerten, zeigte seine verherrende Wirkung. Letztendlich gelang uns das Unmögliche: Beide Seeschlangen versanken sterbend in einem Inferno aus Trümmern und Blut in den Fluten des Perlenmeers! Doch noch immer hatten wir keinen Seeschlangenzahn erbeutet und so sprang Roban – aus zahlreichen Wunden blutend – auf den Kopf einer der sinkenden Ungeheuer und riss einen Zahn aus dem gigantischen Maul der Schlange! Roban ist der mutigste Mann den ich je kennengelernt habe, das kann ich dir sagen Mandred. Dieser Mann besitzt einen Mut, der oftmals schon an Selbstaufopferung erinnerte – diese Tat war nur eine von vielen, die den Nostrier fast das Leben kosten sollte! Roban stand nun auf dem untergehenden Schädel der Schlange, während zahlreiche Haie – angelockt durch die vielen Toten – um das sinkende Ungetüm herum schwammen. Er konnte sich noch einige Augenblicke wehren, doch dann erwischte ihn einer der Haie und der Nostrier versank bewusstlos in den Wassern des Perlenmeers. Ich hatte keine Hoffnung mehr für Roban, doch neben mir sprang Mythornius ins Wasser und verwandelte sich dabei in einen riesigen Malmer! Wenige Augenblicke später hatte der verwandelte Magus dann den bewusstlosen Roban und den ausgerissenen Zahn der Seeschlangen in seinen mächtigen Scherenhänden und tauchte neben uns wieder auf!

Wir hatten es also tatsächlich geschafft, Mandred – wir hatten gleich zwei dieser Ungetüme getötet und hatten zudem einen Zahn erbeutet! Jedoch musste die Sturmvogel den zahlreichen Angriffen der Schlangen sowie dem übergreifenden Hylailer Feuer ihren Tribut zollen und versank ebenfalls in den Tiefen des Perlenmeers. Wir konnten uns in eines der Beiboote retten, doch die Mehrheit der Besatzung hatte dieses Glück nicht. Über 30 Männer sind an diesem denkwürdigen Tag gestorben, unter ihnen auch einige meiner Männer. Eigor ging damals über Bord, seine schwere Rüstung zog ihn sofort hinab in die Tiefe. Auch dein Vater Orm ging damals über Bord und wurde nie wieder gesehen … Auf Orm Follkerson, Eigor Eisenbeiß und all die tapferen Männer unter Kapitän Bacha, die beim Kampf gegen die Hranngars-Brut ihr Leben gelassen haben! Bei Swafnir, das Woooohl!“ Phileasson hebt sein Trinkhorn und die Männer, die um den schweren Eichenholztisch sitzen, tun es ihm gleich. Klirrend wird mit den Trinkhörnern angestoßen, während jeder dabei ein donnerndes Das Wohl!“ herausbrüllt. Asleif Phileasson dreht sein Trinkhorn gedankenverloren einige Augenblicke in den Händen, dann spricht er weiter: „Doch manchmal gibt es auch Hoffnung, auch wenn sie noch so unwahrscheinlich sein mag, Mandred. Denn an diesem Tag ging auch Ynu über Bord, doch ihn sollten wir Monate später im Herzen der Wüste Khôm wieder finden. Die Leiche deines Vaters wurde nie gefunden, ein Kettenhemd hat er nicht getragen. Wer kann also sagen, ob die Runjas sein Leben damals als beendet ansahen oder ob ihn Swafnirs Gnade an einen weit entfernten Strand gespült hat? Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht für meinen alten Freund bete …“ Bei diesen Worten senkt der Hetmann den Blick und starrt für einige Augenblicke die Tischplatte des Eichenholztisches an. Mandred indes räuspert sich mit belegter Stimme, sagt aber nichts. Nach einer gefühlten Ewigkeit fährt Phileasson dann endlich mit seiner Erzählung fort:

„Wer weiß, wer weiß … Damals jedenfalls hatten die wenigen Überlebenden sich in zwei der Beiboote, die zuvor zur Jagd auf Haie genutzt worden waren, retten können. Neben meiner Wenigkeit hatten Wulf, Roban, Mythornius, Ungrimm, Shaya, Hakon, Shirandra, Bacha, Tashtego und der Matrose Haskir überlebt. Der Rest war tot oder verschollen. Proviant und Trinkwasser hatten wir kaum und so sahen wir einem düsteren Schicksal auf den Weiten des Perlenmeers entgegen. Doch wir standen noch immer in der Gunst Swafnirs, das Wohl! Immerhin hatten wir zwei der Kinder Hranngars getötet, dies muss ja etwas wert sein, fürwahr! Shirandra verwandelte sich alsbald in einen Falken und hielt nach der Küste Maraskans Ausschau. Die fand er zwar nicht, doch dafür entdeckte er weit im Osten eine Insel! Die Insel der Risso, wie wir sie später nennen sollten, doch diese Geschichte werde ich erst morgen weiterführen. Für heute reicht es mir, Mandred. Mein Mund ist vom vielen Gefasel trockener geworden als die Khôm und mein Arsch ist so platt gesessen wie der fette Hintern eines Al'Anfaner Granden, das Wohl! Morgen ist auch noch ein Tag.“

 

Mit diesen Worten verabschiedet sich der blonde Hetmann von den anwesenden Nordmännern. Wenig später stapft der Kapitän der Glutströhm-Ottajasko zusammen mit dem in dicke Pelze gehüllten Moha Ynu durch den kniehohen Schnee auf dem Pfad, welcher vom Kliff hinunter in die eigentliche Stadt Thorwal führt.

 

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