Die Phileasson-Saga: Festum, die Hauptstadt des Bornlands
Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko
aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson
Ottaskin der Hetleute, Thorwal
6. Firun 1009 nach Bosparans Fall
In der eisigen Nacht Thorwals schreitet ein hünenhafter Thorwaler, in dicke Pelze gewandet, langsam durch den knöchelhohen Schnee. Es ist der berühmte Asleif Phileasson, auch unter dem Titel ‚König der Meere‘ bekannt. Er ist auf dem Weg zurück vom Rande des Kliffs in die Große Halla der Ottaskin der Nordmänner. Als er dort eintritt, richten sich alle Blicke sofort auf ihn. Der junge Skalde Mandred Ormson schenkt ihm Met in sein Trinkhorn nach und Phileasson lässt sich mit einem Seufzer auf seinen schweren Eichenholzstuhl zurücksinken. Er nickt dem Skalden freundlich zu, dann nimmt er einen kräftigen Schluck des heißen Honigweins. Schließlich wendet er sich zu Ynu dem Moha, der zu seiner Linken am Tisch sitzt: „Ein grausiges Wetter da draußen, Ynu, mir wäre fast etwas abgefroren, das Wohl! Aber immerhin wird es in meiner Saga langsam Frühling, denn nach dem Silvanden Fae'den Karen ließen wir den eisigen Griff Firuns langsam hinter uns, wie du dich sicher erinnern kannst. Wir reisten weiter auf der Bornstraße, über Pervin, Rondebrannt und Firunen bis nach Festum, der Hauptstadt der Bornländer. Je weiter südlich wir kamen, desto weniger hoch lag der Schnee, und schon bald konnten wir die ersten Anzeichen des Frühlings um uns herum erkennen. Am 26. Peraine kamen wir schließlich in Festum an. Eine beeindruckende Stadt, weit größer als Thorwal glaube ich. Unsere riesige Karenherde musste natürlich außerhalb der Stadtmauer warten, wir hingegen traten zusammen mit Nirka durch das Märkische Tor in die Stadt ein. Als erstes bekamen wir die weitläufige und überraschend grüne Neustadt zu Gesicht. Es gab dort sogar eine riesige Wiese, auf dem jedes Jahr die reisenden Norbarden ihr Frühlings- und Herbstlager aufbauen. Wir suchten uns eine schöne Kneipe, ich glaube sie hieß ‚Zur Elchschaufel‘, und dann berieten wir uns, was nun zu tun sei. Nirka machte sich schon bald auf, die verschiedenen Fleischhändler aufzusuchen, die mit den Rauwölfen jedes Jahr aufs Neue Geschäfte machen.
Roban nutzte unseren Aufenthalt in Festem und ließ die seltsamen Stahlsorten aus dem Himmelsturm in der Werkstatt des Roten Salamanders untersuchen. Du weißt schon Manded, der gleiche Stahl, aus dem er inzwischen seinen bemerkenswerten Kriegshammer geschmiedet hat. Shaya und ich besuchten den Wildganstempel der gütigen Travia und bestaunten auf dem Marktplatz die von Zwergenhand erschaffene Urwaage sowie den beeindruckenden Drachenbrunnen.
Ich habe in der Nähe des Marktplatzes auch tatsächlich eine Botschaft der Pestbeule Al'Anfa ausmachen können, möge sie doch Firun holen! Ich habe es mir nicht nehmen lassen, die Wände dieses hässlichen Gebäudes zu beschmieren. Verfluchte Sklavenhänder, unglaublich dass dieses Pack im Bornland überhaupt auftauchen darf. Gäbe es bei uns nicht, nicht wahr Mandred?
Im Hafen Festums genehmigte ich mir erst einmal ein ordentliches Bier. Roban, Ungrimm und Wulf wollten sich den Leuchtturm näher anschauen, ich hingegen besuchte den Haientempel, gebaut zu Ehren Efferds. Überraschenderweise gab es dort auch einen Tempel zu Ehren Swafnirs, sind also doch nicht so ganz verkehrt, diese Bornländer. Über eine mächtige Zollbrücke konnte man die Speicherinsel erreichen, jene Insel, auf welcher vor vielen Jahrzehnten Atmaskot Blutsäufer regierte. Nur sehr kurz allerdings, und heute ist seine Haut über eine Trommel gespannt, aber immerhin. Barbarische Sitten dort im Bornland. Wulf hatte dann noch die lobenswerte Idee, sich ein Wolfsbild stechen zu lassen. Das Lokal dort hieß passenderweise ‚Bilderfrau‘, die Wirtin Moschane Kusper sah nicht so recht vertrauenswürdig aus. Wenn ich mir ein Bild stechen lasse, dann nur von einem Nordmann, das Wohl! Na ja, ihr Mohas können das wohl auch, das will ich dir gar nicht aberkennen.“ Mit diesen Worten schaut Phileasson entschuldigend zu seinem Freund Ynu und prostet ihm zu. Nach einem kräftigen Schluck Met stellt er das Trinkhorn zurück auf den schweren Eichentisch und nimmt gedankenverloren den tiefschwarzen Dolch in die Hand. Asleif lässt den Dolch zwischen den Fingern drehen, als er mit seiner Erzählung fortfährt: „Einiges anderes gab es dort noch zu sehen, das Gerberviertel voll mit stinkenden Rotpelzen, ein maraskanischer Stadtteil unter einem eigenen König namens Frumhold, doch ich will euch nicht langweilen. Am Abend trafen wir uns alle wieder in der Schankstube unseres Gasthauses. Meine Männer waren recht umtriebig gewesen und hatten sich in der Stadt umgehört. Mythornius war sogar ebenfalls da, eine große Ehre, musst du wissen. Sieht er nämlich einmal eine Akademie oder eine Halle mit Büchern und gammeligen Schriftrollen, so sieht man ihn im besten Falle erst wieder Tage später erscheinen, das Wohl! Man hatte sich hier und da in der Stadt umgehört und erfahren, dass ein Mann, auf den die Beschreibung Beorns wie die Faust auf das eine verbliebene Auge passte, in der Stadt war und diese bereits vor drei Tagen verlassen hatte. Wir waren also hinter Beorn, neunmal verflucht! Hatten wir es durch die Begegnung mit den untoten Nordmännern in den bornischen Wäldern bereits vermutet, so wurde es hier zur Gewissheit: Beorn hatte Leute verloren und hier in Festum neue Mannen angeheuert. Seltsam übrigens, dass man vor Festum nirgendwo Beorn oder seine Leute gesehen hatte, weder in Pervin, Rodebrannt, Firunen noch in einem der kleineren Dörfer. Heute weiß ich, dass der Blender nach seiner Gefangenschaft im Himmelsturm mit der Schwarzelfe Pardona auf unheilige Weise direkt nach Festum gelangt ist. Freiwillig hat er das fürwahr nicht gemacht, das weiß ich heute auch. Möge Swafnir ihm gnädig sein, wo auch immer er gerade ist!“ Mit diesen Worten hebt Phileasson sein Methorn in die Runde und stößt auf den vermissten Rivalen Beorn an. Klirrend stoßen die Trinkhörner zusammen, und mehr als ein Tropfen goldenen Mets zieren danach den schweren Holztisch der Halla. Dann spricht Phileasson weiter: „Wir hatten auch einiges über die neuen Leute Beorns erfahren. Eine Magierin der hiesigen Akademie namens Belasca hatte sich ihm angeschlossen, dazu einige Söldlinge mit Namen wie Baldur und Childwig. Auch ein hier in Festum gefangen gesetzter Thorwaler namens Garad Avason wurde von Beorn freigekauft. Hatte wohl in den Schänken Festums einmal zuviel auf den Blutsäufer getrunken, wahrlich eine gefährliche Idee, das Wohl! Seltsamerweise hatte Beorn Gerüchten zufolge im hiesigen Stadtarchiv versucht, etwas über einen gewissen ‚Steppenwolf‘ herauszufinden. Damals wussten wir noch nicht wieso, doch das sollte sich schon bald ändern. Der Abend in der ‚Elchschaufel‘ war auf jeden Fall ein Erlebnis, dass kann ich dir sagen, Mandred. Ein zünftiges Gelage war das, und der Alkohol floss reichlich, das Wohl! Ich habe meine Männer natürlich eingeladen, als Belohnung für die tapferen Taten, die sie bisher auf der Reise vollbracht hatten. Auch Geschenke für die Männer hatte ich in der Stadt gefunden. Für Roban habe ich einen Schneidezahn mit eingraviertem Hammer und Amboss Symbolen gekauft, dazu ein mit Silber beschlagenes Axtgehänge. Für den Andergaster habe ich fein gearbeitete Wurfmesser gefunden, auf denen passenderweise W. S. eingraviert war – Phex war mir bei diesem Kauf zugetan, das hätte zumindest Wulf dazu gesagt! Für Ungrimm und Eigor habe ich je ein Fass Ferdoker und einen goldenen Trinkpokal, mit zwergischen Runen versehen, besorgt. Hakon bekam einen verzierten Rundschild, dem Magus habe ich 25 Dukaten zugesteckt – wer weiß schon, was man einem Magus schenken soll! Für deinen Vater habe ich eine Gänseschreibfeder und echte bornische Tinte erstanden. Ynu bekam eine Meerschaumpfeife von mir, genau jene, die er gerade in den Händen hält!“ Bei diesen Worten schaut Asleif Phileasson in Richtung des Mohas und grinst. Ynu nimmt genüsslich einen Zug und nickt dem Kapitän zu. Dieser genehmigt sich einen weiteren Schluck Honigwein, dann fährt er fort: „Lange saßen wir noch im Schankraum, und reichlich Bier und Met wurde getrunken. Der nächste Tag war entsprechend träge, ich weiß heute noch, es fühlte sich an als ob der Zwergengott Angrosch persönlich seine Schmiede in meinem Schädel eingerichtet hätte! Halbherzig versuchten wir an diesem Tage, weitere Details über Beorn und seine Suche herauszufinden, waren jedoch erfolglos. Am nächsten Tag hatte Wulf eine gute Idee, wie man das leidliche Verhältnis zwischen Roban und der Nivesin Phanta endgültig beenden könnte. Aber lass das in der Saga weg, Mandred. Nur soviel: dabei spielte eine Hure sowie das aufbrausende Temperament des Hern'sen eine entscheidende Rolle. Und natürlich auch die Nähe Robans zu Rahja, hehe. Am Nachmittag verabschiedeten sich Nirka und ihre Stammesbrüder von uns. Alle Karene waren verkauft, und die Rauwölfe zog es zurück in den Norden. Nirka versicherte uns, dass wir immer am Lagerfeuer der Rauwölfe willkommen sein werden und das unsere Hilfe niemals vergessen werden wird. Am Abend des nächsten Tages saßen wir wieder im Schankraum der ‚Elchschaufel‘, mit deutlich weniger Met und Bier als das letzte Mal allerdings. Man lernt eben aus seinen Fehlern, das Wohl! Plötzlich kam ein Heulen auf, wie von einem tosenden Sturm. Ich dachte schon draußen hat sich Efferd daran erinnert, dass der Frühling auch unwirtlich sein kann, als ich sah, wie die Haare Shayas umherflatterten. Eine donnernde Stimme ertönte in meinem Kopf – die Anderen haben sie ebenfalls gehört, das habe ich später erfahren – und ich hörte folgende Worte:
‚In der Stadt, in der Ingerimm Efferd trotzt, konnten selbst die Stürme der Zeit die Spur des Steppenwolfs nicht löschen. Zerreißt den Schleier der Vergangenheit, und ihr werdet eine silberne Flamme finden! Sie ist der eine Schlüssel zu Orima der Allsehenden, der ihr dereinst begegnen werdet.‘
Verdutzt schauten wir uns um. Es war wirklich seltsam, das Tosen, die dröhnenden Worte, all das haben die anderen Gäste im Schankraum nicht gehört. Im Gegenteil, wir wurden wie verrückte Orken angeschaut! Nun, auf jeden Fall hatten wir sie endlich, die vierte Aufgabe. Nun war auch klar, wieso Beorn in den Archiven der Stadt nach dem Steppenwolf gesucht hatte. Doch wieso Beorn die Prophezeihung früher als wir bekommen hat, das habe ich nicht so ganz verstanden. Vielleicht weil er früher als wir aus dem Himmelsturm zurückkehrt war? Andererseits schaffte er das nur durch die Hilfe Pardonas, Gerechtigkeit sieht anders aus. Nach ein wenig Überlegen war zumindest klar, welche Stadt in der Prophezeihung gemeint war: Vallusa, die freie Stadt zwischen dem Bornland und dem Herzogtum Tobrien! Denn dort gibt es eine von Angroschim errichtete Mauer, die bereits seit Jahrhunderten den Wogen des Meeres trotzt. Ungrimm und Mythornius kamen da recht schnell drauf, gut dass sie dabei waren. Ich muss ehrlich gestehen, ich hatte von dieser Mauer noch niemals zuvor etwas gehört. Auf jeden Fall wussten wir nun was zu tun ist. Bereits am nächsten Tag verließen wir Festum über die Zollbrücke und machten uns auf der Kaiserstraße entlang der rauen Küste des Perlenmeer auf gen Süden, in Richtung der Stadt Vallusa. Abdul el Mazar, jenen verrückten Tulamiden, denn wir damals aus den Kerkern im Himmelsturm befreit hatten, war seit seiner Heilung durch Niamh Biangala schweigsam und in sich gekehrt. Kurz vor unserer Abreise beschloss er, unsere Gruppe zu verlassen und auf einem Schiff in Richtung Khunchom zu reisen. Um ehrlich zu sein, ganz geheuer war mir der einhändige Magier nie, und so war ich ganz froh, dass er uns in Festum verließ. Ich denke, den Meisten ging es ähnlich, vor allem Ungrimm war die Erleichterung deutlich ins Gesicht geschrieben. Na, von Vallusa und dem, was noch kommt, erzähle ich aber morgen, meine müden Knochen verlangt es nun nach einer warmen Lagerstätte, bei Mütterchen Travia! Mandred, Ynu, Aleya, Jorgen, bis morgen also in aller Frische!“ Bei diesen Worten prostet der Hetmann den Genannten zu, dann hebt er sein Trinkhorn in die Runde und nickt den restlichen Anwesenden zu. Mit einigen tiefen Zügen lehrt der hünenhafte Kapitän sein Methorn. Wenig später macht er sich zusammen mit dem Moha Ynu an den Abstieg vom Kliff Thorwals hinunter in die eigentliche Stadt der Nordmänner. Eisiger Wind lässt die Umhänge der beiden Männer wild flattern, und vor allem dem Moha sieht man deutlich an, wie schwer ihm die Kälte der grimmen Nordnacht zu schaffen macht.