Die Phileasson-Saga: Gen Norden
Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko
aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson
Ottaskin der Hetleute, Thorwal
4. Firun 1009 nach Bosparans Fall
Die zwei Nordmänner bleiben vor den Toren der Halla stehen. Die winterliche Dunkelheit wird nur durch den Fackelschein der Wächter und von einzelnen Lichtstrahlen aus der Halla der Hetleute durchbrochen. Der böige Wind reißt und zerrt an den langen Zöpfen der beiden Nordleute, Schneeflocken umspielen die Männer dabei. Der Atem der beiden Thorwaler setzt sich in kleinen, eisigen Wolken vor ihren Gesichtern ab. Phileasson blickt hinauf ans Firmament, wo die Sterne klar und hell in der kalten Firunsnacht zu erkennen sind. Sein Blick scheint in die Ferne zu gehen, er scheint einen Moment in der Erinnerung an die kürzlich beendete Wettfahrt zu schwelgen. Dann huscht ein wehmütiges Lächeln über sein bärtiges Gesicht. Zu Mandred gewandt spricht er: „Na, lass uns wieder reingehen, nicht das wir hier noch festfrieren, das Wohl!“
Die Gesichter der beiden Männer sind vor Kälte und Wind gerötet, als sie es sich wieder am großen Eichentisch in der Halla der Hetleute bequem machen. Die übrigen Männer und Frauen blicken gespannt zu Asleif Phileasson. Dieser reibt sich die kalten Hände, während er fortfährt, dem jungen Skalden von seiner Wettfahrt zu erzählen: „Die kurzen Tage des Winters waren eisig und die Nächte wurden immer länger, je weiter wir nach Norden in die Weiten von Ifirns Ozean fuhren. Viel kälter als heute war es damals, oh ja! Unheimliche Nordlichter waren am Horizont zu sehen, die der abergläubische Eigor doch gleich als schlechtes Omen erkennen wollte – vielleicht hatte der Angroscho ja recht, wer weiß das schon, denn unser Reiseglück verließ uns schneller als gedacht. Beorn konnte sich gleich zu Beginn der Reise einen guten Vorsprung erarbeiten und so hatten wir seine Otta schon bald völlig aus den Augen verloren. Als ob das nicht schon genug gewesen wäre, zog in der Nähe Olports einer der berüchtigten Nordstürme auf. Du weißt schon Mandred, so einer, der in wenigen Minuten den gesamten Himmel verdunkelt, der kaum vorhersehbar ist und der mit unvorstellbarer Wucht und Unbarmherzigkeit schon so manche Besatzung in die Tiefen des Meeres gerissen hat.“ Mandred nickt mit wissendem Blick und erwidert: „Ja, ich hörte davon. Mein Vater hat mir einst von solchen Stürmen erzählt. Doch Swafnir sei Dank, erlebt habe ich selbst noch keinen!“ Phileasson setzt nach einem tiefen Zug sein Trinkhorn ab und entgegnet: „Du kannst dich glücklich schätzen, glaub mir. So schön es auf den Weiten der Meere auch sein mag, so gefährlich ist es dort auch. Manchmal hilft dir alle Tapferkeit nicht weiter und du bist nur noch von der Gnade Swafnirs abhängig. Ich dachte ich habe schon alles gesehen, aber bei Swafnir, das war kein Sturm, das war die Mutter aller Stürme, das sage ich dir! Wir trotzten dem Sturm und steuerten mit letzter Kraft die Steilklippen der Küste Olports an. Ruder brachen und viele tapfere Männer gingen über Bord und wurden nie mehr gesehen, doch wir schafften es mit letzter Kraft, den sicheren Hafen Olports zu erreichen! So manch eine der Landratten war grün wie ein Andergaster Nadelwald, und auch manchem gestandenen Nordmann war die Erleichterung ins Gesicht gezeichnet, dem gigantischen Sturm in letzter Sekunde entkommen zu sein.
Wir mussten notgedrungen einige Tage in Olport verweilen, meine Otta hatte einiges abbekommen, vor allem die Backbordseite war schwer beschädigt. Der nostrische Schmied hat sich hier beim Ausbessern der Schiffsplanken überraschend fähig gezeigt. Ich hätte gar nicht gedacht das ein Grobschmied auch was mit einer Otta anfangen kann.
Nach einigen Tagen ging es dann weiter. Ich hatte einige neue Mannen aus Olport angeheuert und die Seeadler war randvoll mit Proviant bepackt. Von Olport aus ruderten wir dann immer in Küstennähe durch die Swafnirsrast bis in den Golf von Riva. Du weißt ja, es sind weit mehr als tausend Meilen von Olport bis ins Yeti-Land. Die Fahrt hat gute elf Tage gedauert, nicht mal schlecht für eine Mannschaft in der die Meisten zuvor nicht einmal wussten was ein Drachenboot überhaupt ist, das Wohl! Kurz bevor wir den Golf von Riva erreichten, zeigte sich uns eine Herde der Kinder Swafnirs, ein gutes Omen sicherlich. Je weiter wir in den Norden vorstießen, desto kälter wurde es und desto kürzer wurden die Tage bis sie letztendlich fast ganz ausblieben. Nebel hing von da an fast täglich in dichten Dunstschwaden über dem endlosen Nordmeer und Schauergeschichten machten die Runde. Der Zwerg Eigor schien einen gar unerschöpflichen Vorrat an solchen Geschichten zu haben. Ich hatte mir damals sogar kurz überlegt ihn zum Schweigen zu bringen, sah ich doch wie angespannt meine Männer waren.
Die Sicht war schlecht, die Nerven waren zum Zerreißen gespannt! Mandred, wir haben fast einen wertlosen Robbenfänger aus Riva geentert, erst kurz davor haben wir in dem verfluchten Nebel überhaupt erkannt was da auf uns zukam. Der Kapitän, ja, Asmussen war sein Name, hat uns von den thorwalschen Knorren an der Packeisgrenze berichtet und leider auch von einem anderen Drachenboot. Ich weiß nicht wie, doch der verfluchte einäugige Knilch hatte es doch tatsächlich geschafft einen tagelangen Vorsprung rauszuholen! Nun, ich hoffe das wird ihm in den Hallen Swafnirs hoch angerechnet.“ Asleif hält einen Augenblick inne, es scheint als ob er ein stummes Gebet an den Gott der Meere schickt. Dann fährt er fort:
„Weißt du Mandred, er mag ja ein dummer und bösartiger Knilch gewesen sein dem ich damals den Tod wünschte. Doch heute glaube ich das er nicht mehr unter uns weilt, haben wir ihn doch seit Norburg nicht mehr gesehen. Ich wünsche ihm eine Einkehr in die Hallen Swafnirs, keine Feindschaft zwischen Thorwalern sollte über den Tod hinaus andauern. Sollte er aber noch leben und sich irgendwo im Bornland verkrochen haben, na dann soll es mir auch recht sein, geschieht ihm wohl recht wenn er dort weit ab vom Meer, bei Swafnir!“ Phileasson macht eine Pause und kratzt sich am Bart. Grübelnd sitzt er am Tisch und starrt vor sich hin. Still ist es in der Halla geworden, alle Anwesenden lauschen gespannt der Erzählung des Hetmanns. Während der Wind von außen an den Pergamenten der großen Fenster des Langhauses zerrt und versucht sich Einlass zu verschaffen, nimmt sich Mandred zusammen und ergreift das Wort: „Und, wie ging die Reise weiter, Hetmann?“ Phileasson gibt sich einen Ruck und wendet sich dem jungen Skalden wieder zu:eHetmann
„Wie es weiterging? Nun, bald sahen wir die ersten Eisschollen im Meer treiben, und wenige Meilen später war nur noch eine langsame Fahrt möglich, die nun auftauchenden Eisberge jederzeit als Gefahr vor Augen. Nebel und Dämmerlicht haben natürlich ihr übriges getan, das kann ich dir sagen. Einmal wurden wir fast zwischen zwei mächtigen Eisbergen zerquetscht, doch Swafnir hat seinen schützenden Segen über uns gesprochen.
Gute zwanzig Tage nach unserem Aufbruch aus dem heimischen Thorwal hatten wir dann endlich das erste Ziel unserer Reise erreicht – vor uns sahen wir die Signalfeuer der thorwalschen Transportschiffe, die an der Packeisgrenze vor Anker lagen! Leider lag dort wie schon befürchtet auch Beorns Otta vor Anker und die Eiskruste auf den Planken des Schiffes sagte mir dass er wohl schon einige Zeit vor uns das ewige Eis erreicht hatte. Daher war Eile geboten. Ich gönnte meinen Mannen nur wenig Schlaf, und schon am nächsten Morgen brachen wir gen Nordosten auf, in Richtung Yeti-Land. Der Haupttrupp mit Hundeschlitten, Proviant und Zelten war natürlich nicht gerade schnell, und so schickte ich zwei Mannschaften mit Eisseglern voraus, um die Reiseroute auszukundschaften. Einen der Eissegler ließ ich von Hakon, Wulf, Ungrimm, Roban und Mythornius bemannen, und diese berichteten auch bald von weiteren Spuren des Blenders. Sie hatten das Wrack eines Eisseglers gefunden, daneben die Leiche eines Yetis liegend. Zwei Runengräber in der Nähe zeugten vom erbitterten Kampf, der hier wohl zwischen Beorns Männern und den Schneemenschen stattgefunden haben muss. Weit überraschender war jedoch, dass die Männer ein Yeti-Junges unter dem Leichnam des Schneemenschen fanden und dieses mit an Bord ihres Seglers nahmen. Kurz darauf, so berichteten sie, wurden sie mit gewaltigen Schneekugeln beworfen, so dass sie nur mit großer Mühe ihren Eissegler aus dem Beschuss steuern konnten. Einige der riesigen Schneemenschen hatten ihnen aufgelauert und es hätte wohl nicht viel gefehlt, da wäre es zu einem blutigen Kampf gekommen. Doch meine Männer waren besonnen und ruhig. Der Andergaster wusste recht gut, wie man mit solch seltsamen Wesen wie den Yetis umzugehen hat. Wer weiß, ob die Andergaster in ihren heimatlichen, tiefen Wäldern auch ähnlich mit den Waldmenschen umgehen, die es ja dort sehr wohl zu geben scheint! Meine Männer haben es tatsächlich geschafft, mit diesen Schneemenschen zu reden – na, soweit das eben mit Händen und Füßen möglich ist – und konnten sie von ihren friedlichen Absichten überzeugen. Sie wurden sogar in das Dorf der Yetis geführt, bei Swafnir! Und die Überraschung nahm kein Ende, denn die Anführerin der Schneemenschen war doch tatsächlich eine Firnelfe! Galandel nannte sie sich. Hast du das schon einmal gehört, Mandred? Eine Firnelfe und Yetis? Seltsame Wege werden manchmal eingeschlagen, das Wohl! Daneben haben mir die Spähtrupps auch von Begegnungen mit eisigen Feen und seltsamen, kristallenen Kreaturen berichtet, die sie Eisigel tauften. Gar schaurige Melodien erklangen zwischen den kristallenen Stacheln dieser widernatürlichen Dinger, und es kostete wohl einiges an Überwindungskraft, nicht auf diese Melodie zu hören. Ich bin mir sicher, dass diese Eisigel schon den Tod so mancher Abenteurer bedeutet haben, ebenso wie die eisigen Feen. Ja, der Wulf, er hatte noch immer einen gar seltsamen Schimmer in den Augen, als er von diesen Feen berichtete, die wohl jeden arglosen Reisenden in die ewige Kälte herabzuziehen trachten. Wer sie wohl einst waren? Niemand wird es wohl je erfahren.
Na, ich könnte noch stundenlang von den Begegnungen und Wundern dort erzählen, aber eine Saga muss ja auch ein Ende haben, nicht wahr Mandred?“ Mit diesen Worten winkt Asleif einen Diener heran, der ihm das Methorn nachfüllt. Er prostet dem jungen Skalden zu, dann fährt er fort: „Wir sind dann mit dem Hauptross ins Lager der Schneemenschen aufgebrochen. Die Verständigung war natürlich kaum möglich, doch ich glaube mittlerweile wirklich, dass diese Yetis mehr als nur dumme Tiere sind. Allerdings, ihre Speisen, na, die waren eher etwas für Tiere. Noch warme Innereien und rohes Fleisch, solche Sachen. Bei Swafnir, dabei haben sie doch Feuer! Aber, man weiß ja wie man mit Wilden umzugehen hat: Runter mit dem Zeug und Premer Feuer hinterher, sonst kann es schnell vorbei sein mit der Gastfreundschaft wenn das Zeug wieder hochkommt, das Wohl! Aber genug von solchen widerlichen Sachen. Von der schönen und weisen Galandel wurden wir nämlich freundlich empfangen. Wir haben uns natürlich nach den zweizähnigen Kopfschwänzlern erkundigt, und schon bald war klar, wo wir diese großen Tiere finden würden: In einem Tal, dass Galandel das Tal der Donnerwanderer nannte. Sie verspach, uns schon am morgigen Tage dort hinzuführen. Überraschenderweise konnte sie uns auch vom Himmelsturm berichten. Ich muss sagen wir hatten wirklich Glück dass meine Männer es geschafft haben, den Yetis vom Stamm der Hrm Hrm freundlich gegenüber zu treten! Bei Feuerschein und den fragwürdigen Speisen der Schneemenschen berichtete die Elfe uns von jener Legende, deren Ursprung sie mit ihrer Sippe einst selbst zu erkunden versuchte:
Einst lebte das stolze alte Volk der Elfen im Turm im ew'gen Eis. Durch Willen, Magie und die Kraft ihrer Hände schufen sie ein Wunderwerk, welches an Pracht so manch anderes übertrumpfte.
Der geniale Geist, der dies alles geplant und mit Hilfe zahlreicher Elfenstämme verwirklicht hatte, versuchte dann sogar, an den Göttern selbst zu zweifeln.
Jene aber schickten eines Tages einen Boten, und dieser Bote säte Zwietracht und Unglück unter dem Elfenvolk, brachte Verderben und Neid. Fortan wurde diese Botin auch Verderberin oder Verderbensbringerin genannt, Bhardona.
Bruder kämpfte gegen Bruder, Schwester gegen Schwester und zum traurigen Ende hin gelang es nur einer Schar auserwählter Elfen aus dem Turm zu fliehen. Diese reumütigen Elfen aber sind die Urahnen der Elfen im Eis, der Firnelfen.
Die Geheimnisse aber, das Wissen, die Kunstfertigkeit und vieles mehr, all dies was das alte Volk einzigartig und großartig gemacht hat, blieb im Turm unter Trümmern zurück und es ist wohl auch noch heute dort verborgen, im Turm im ew'gen Eis.
Daran könnte einst das Schicksal dieser Welt selbst hängen!“
Phileasson hält inne und stößt einen tiefen Seufzer aus. Dann spricht er weiter: „Bei den Herden Swafnirs, du hättest diese Elfe wirklich sehen sollen, Mandred, so erhaben, so schön, so … anders einfach! Na, hätte ich damals schon gewusst was ich noch alles zu sehen bekomme, wäre mein Staunen weit weniger ausgeprägt gewesen, sahen wir doch die Harfnerin Niamh Goldhaar und so viele andere des edlen und alten Volks der Hochelfen! Ach was solls, ich schweife ja schon wieder ab.
Galandel also gab uns dann einen fein geschliffenen, taubeneigroßen Stein, welchen sie die ‚Träne der Nurti‘ nannte. Der Stein solle uns, so sagte sie, den Weg zum Turm, an dem das Himmelsgewölbe aufgehängt ist, weisen. Ich glaube der Magus erkannte ihn als eindeutig verzaubert, aber das hätte man sich ja auch so denken können, Elfenzeugs eben! Das Fest ging noch eine Weile und in den Hütten aus Schnee war es auch überraschend warm, wenn man an den eisigen Firunsfrost außerhalb denkt. Irgendwann jedoch zogen wir uns dann doch zurück, lag doch ein ordentlicher Fußmarsch bis ins Tal der Donnerwanderer vor uns. Wenn wir damals schon gewusst hätten, was uns dort alles erwartet, hätten wir uns noch viel früher aufs Ohr gehauen, das Wohl! Dampfender, feuchtwarmer Dschungel wie du ihn eigentlich nur in den südlichen Gefilden vorfindest, gigantische Pilzgewächse und riesige Echsen sollten es sein, und das alles mitten im ewigen Eis! Tja, so sollte es kommen. Hätten wir nicht erwartet, dass kann ich dir sagen.“ Phileasson atmet tief ein und schaut sich in der Halla um. Dann wendet er sich wieder an Mandred: „Noch nicht mal richtig angefangen hat die Saga, das kann ich dir sagen. Du wirst staunen was ich dir noch alles erzählen werde. Jetzt aber sollten wir erst mal was essen, denn mit leerem Magen erzählt es sich recht schlecht, und auch das Schreiben scheint mir mit vollem Bauch weit angenehmer zu sein, das Wohl!“ Phileasson dreht sich um und ruft in Richtung des Eingangs der Halla: „Heda, Jorgen Olgulfson, bring uns doch was zu essen! Warm soll es sein, damit ich die eisige Kälte draußen vergessen kann. Tisch nur ordentlich auf, denn es wird noch eine lange Nacht werden, das Wohl!“ Mit einem lauten Lachen schlägt der Kapitän seine Faust auf den großen Eichentisch und warmer Met schwappt über den Rand seines Trinkhorns auf den schweren Eichenholztisch.